„Der Wildschütz“ an der Semperoper (Golbs)

„Veralbert und vergeigt — drei Stunden Langeweile mit Musik“ so stand es danach in der Dresdner Presse. Ganz so extrem möchte ich es nicht ausdrücken, aber über ein leichtes Lächeln bei mir, ging es am Abend auch nicht hinaus.

Im geschichtsträchtigen Musenhaus spielte die Staatskapelle Dresden einen wunderschönen schwungvollen Lortzing, der Opern- und Kinderchor war bestens studiert und spielte mit Hingabe in unauffälligen aber praktikablen Biedermeier-Bühnenbildern. Die Sängerleistung und Textverständlichkeit (mit deutschen Übertiteln!!) war durchaus hörenswert. Der Hauptdarsteller, Wildschütz und Dorflehrer, Georg Zeppenfeld sang mit herrlich klingendem Bass und spielte auch mit Inbrunst seine Rolle — aber es fehlte das Komödiantische. Baculus ist in der Oper die tragisch komische Person — man muss ihn mögen und gleichzeitig bedauern- beides stellte sich bei mir nicht so richtig ein. Am besten gelang es am Abend mit Witz, Spiellaune und Stimme, Carolina Ullrich als Gretchen und ganz furios Sabine Brohm als Gräfin. Gretchen trat temperamentvoll gegen ihren Zukünftigen an, demonstrierte aber auch offen und sehr direkt ihren Ekel und Abscheu ihm gegenüber, was ihre Sympathiewerte fallen ließ.

Blutüberströmt mit einem Messer im Bauch, inszenierte die Frau Gräfin vor dem bleichen Baculus und der anteilnahmslosen Dienerschaft einen theatralischen „Heldentod“. „Die Frau Gräfin spielt vortrefflich“ hieß es dann auch in der Textänderung, denn die Frau Gräfin hatte wirklich einen Spleen auf altgriechisch und das zog Frau Brohm auch gnadenlos mit großer Gesangs-und Sprechstimme durch.

Pankratius, gespielt vom Berliner Schauspieler Oliver Breite, sächselte bedauerlich nicht, stolperte meist betrunken über die Szene und gab den Bühnenclown, fiel auch der Frau Gräfin mal mit dem Gesicht ins Dekolletee — ha,ha! Er hätte auch problemlos in der „Fledermaus“ als Frosch gepasst.

Dass die Inszenierng nicht so richtig in Schwung kam, muss man wohl in erster Linie dem Regisseur, Jens Daniel Herzog, ankreiden. Es reicht eben nicht von A nach B zu laufen und mit einigen Regieeinfällen das Stück abzuarbeiten — nein, die charakterlichen Nuancen, die in jeder Rolle stecken, ergeben erst in ihrem Zusammenspiel den komödiantischen Reiz bis hin zur Situationskomik.

Schon in der Ouvertüre wurde die fröhliche Stimmung und Vorfreude erheblich getrübt. Der komponierte Schuß galt hier nicht dem Esel, sondern Baculus selbst, der von einem Jäger angeschossen wurde und mit dem letzen Ton der Ouvertüre „tot“ auf der Bühne liegen blieb. Mit Beginn der Oper erhob er sich wieder mit starrem Blick, wohl erinnernd an die Schußverletzung am Bauch und verblüfft feststellend, daß keine Wunde nebst Blut vorhanden ist. Dieser Vorgang wiederholte sich mehrmals während der Aufführung und endete im Finale mit der Entdeckung einer nun doch blutigen Wunde, die Baculus mit dem Finalakkord abermals niederstreckte. Ein „Toter“ zu Beginn und Ende der Oper — das Stimmungsbarometer jubelte?! Ach ja! Der Esel war Baculus selbst? Er bekam ja im Finale vor seinem Umfallen noch einen Eselskopf übergestülpt?!

Unter Herzogs Regie gelang es auch oft von der eigentlichen Haupthandlung abzulenken und das Interesse auf Hintergrundgeschehnisse zu lenken. Aufritt der Baronin nebst Nanette, schon im Studentenlook, und beide auf Fahrrädern. Während der schön gesungenen Baronin-Arie richtete sich das komplette Augenmerk auf Nanette, die mit großem Einsatz umständlich ihr kaputtes Fahrrad demontierte.

Im zweiten Akt wuseln neben den Hauptakteuren ständig Leute in auffälligen Fantasiekostümen herum, die wohl ein Stück zum morgigen gräflichen Geburtstag einstudieren. Pappsäulen wechseln die Bühnenseiten, die auch mal, ala Stummfilm, gedreht werden und alle ducken sich ha,ha,! usw.

Der Höhepunkt der Ablenke fand in der berühmten Billardszene statt in Form von zwei spärlich bekleideten Zimmermädchen, die im Lortzing-Rhythmus erotisch ihr Hinterteil bewegten, die Queures beleckten und mit eindeutigen Gesten, ihre Lust zur Schau stellten. Die eigentliche Handlungsszene wurde plötzlich uninteressant, da alle, ich gehe mal davon aus, auf die beiden offenherzigen Schönen glotzten. Graf und Baron (Steve Davislim) haben ja auch nur ein Ziel, Gretchen rumzukriegen. Verbal versuchen sie es mit leidenschaftlichen Worten(Gesang), was sich wirklich für erotische Fantasien in ihren Köpfen abspielten, zelebrierten die beiden Gespielinnen live am Billardtisch.

Im dritten Akt startete der Graf (Detlef Roth) mit seiner „Heiterkeit und Fröhlichkeit“-Arie nicht in Katerstimmung, sondern volltrunken, urinierte mit dem Stallmeister gegen eine Wand, läßt den Hosenstall danach offen und tanzt in diesem Zustand den Walzer mit den Dorfschönen. Dieses Desaster zieht sich bis zum Finale hin und während der letzten Akkorde liegt er schon wieder zwischen drei jungen Damen und degradiert sich zum erbärmlichen kleinen Würstchen.

Die Oper endete, nach Auflösung aller Wirrungen, in einer kunterbunten Geburtstagsfeier. Doch das Happy End von drei Paaren blieb aus — evt. haben Baron und Baronin eine Chance, der Graf bleibt ein unbelehrbarer Lustmolch, die Gräfin sucht in Sophocles und Alkohol Trost, Baculus und Gretchens Hochzeit steht auch unter keinem guten Stern. Der Premierenapplaus war kurz aber herzlich — Vielleicht habe ich Herzogs komödiantisches Regietalent nicht so ganz verstanden — da lob ich mir die Osnabrücker Aufführung mit drei Stunden Kurzweil.

Übrigens erhielt Herr Zeppenfeld nach der Premiere, im Beisein des Publikums und aus der Hand der Sächsischen Kulturministerin, den Titel zum Kammersänger.

Petra Golbs, besuchte Vorstellung: Premiere am 10. Oktober 2015