Die gar nicht mehr so selten aufgeführte Lortzing-Oper Regina fand nun auch den Weg nach Meiningen, wo sie gut aufgenommen wurde. Es handelt sich um die bisher schlüssigste Inszenierung (Regie: Lars Wernecke, Bühne und Kostüme: Dirk Immich), und auch die musikalische Realisierung gelang besser als andernorts.
Dabei muss nicht darüber gestritten werden, ob es sich um eine Revolutionsoper handelt. Das Meininger Programmheft verzichtet zu Recht auf diesen Begriff. Es handelt sich in der Tat auch vielmehr um eine Antirevolutionsoper. Der Komponist nimmt die Stellung des durch den Verlauf der Revolution verschreckten Bürgertums ein, das Grundrechte und eine konstitutionelle Verfassung wünschte, aber die Gewaltexzesse des republikanischen Pöbels verabscheute. Die Parteien sind von Lortzing scharf gezeichnet. Die Freischärler unter Führung Wolfgangs, die vor keinem Verbrechen zurückschrecken, der Werkmeister Stephan, der sich ihnen aus persönlichen Gründen anschließt, auf der einen Seite und auf der Gegenseite die Guten: der Fabrikbesitzer Simon, ein „Vater“ seiner Arbeiter, Richard,
sein Geschäftsführer, Regina, seine Tochter, Kilian und Beate, seine Bediensteten und Barbara, Kilians Mutter. Das alles arbeitet die Regie in einem recht realistischen Bühnenbild gut heraus. Und auch der bei Lortzing im Vordergrund stehende nationale Gedanke wird keineswegs unterdrückt. Allerdings tauchen die schwarz-rot-goldenen Farben erst im 3. Akt auf und werden zu Stricken, an denen Adelige (Strohpuppen) aufgeknüpft werden. Das hat mit Lortzings Text nur noch wenig zu tun. Auch die Erschießung Blums, in der abgebrochen gespielten Ouvertüre, ist überinterpretiert. Und vollends die schwarzen Tränen, die die Germania und alle Beteiligten im Finale weinen, bleiben unerklärt und unerklärlich. Aber abgesehen von diesen überflüssigen Kommentaren läuft die Handlung wundervoll im Sinne Lortzings über die Bühne. Nicht zu Unrecht, wertet das Publikum die Regie als traditionell. Dass die Regie allerdings Probleme mit dem 3. Finale hat, zeigt sich an einer Kleinigkeit. Heißt es im Text bei Lortzing „Heer“, so verfälscht die Übertitelung das zu „Herr“, völlig sinnlos, aber weniger militaristisch.
Textlich entspricht die Oper nicht dem gewohnten Lortzingstil. Sie enthält nur wenige komische Szenen und gar keine märchenhaften oder historische Züge, sondern stellt normale Bürger und sogar Arbeiter auf die Bühne und beschäftigt sich mit Gegenwartsproblemen. Das ist nun freilich nicht so außergewöhnlich, wie es das Programmheft an einigen Stellen anklingen lässt. Vielmehr ist es gattungstypisch für die semiseria, das bürgerliche Rührstück, mit Rettung in der letzten Minute. Damit steht Regina in der Tradition von Beethovens Fidelio und Cherubinis Wasserträger. Während bei Beethoven der politische Hintergrund nicht verdeutlicht wird, sondern im Allgemeinen bleibt, verortet Cherubini sein Werk erkennbar in der französischen Revolution, wobei freilich eine historische Einkleidung gewählt wurde. Wie Lortzing wendet er sich gegen die Auswüchse der Revolution. Auch die vom Regisseur als „Scheinidylle“ missverstandenen Szenen sind gattungstypisch und kein Schein, sondern der Zustand, den Lortzing wünscht und in seiner Oper darstellt und der im Finale auch (wieder) erreicht wird. Überhaupt fällt die Bühnenrealisation viel überzeugender aus, als der Programmheft-Beitrag des Regisseurs.
Auch musikalisch klingt die Oper nur selten wie Lortzing. Der musikalische Duktus ähnelt vielmehr der französischen Großen Oper, ohne sie zu kopieren. Regina ist musikalisch von Agathe beeinflusst, charakterlich aber viel zupackender und tatkräftiger gezeichnet. Musikalisch ist typischer Lortzing allenfalls in den Liedern Kilians (Lortzings Rolle?) und Barbaras zu finden.
Die Ouvertüre wurde an der Stelle abgebrochen, an der Lortzing seine Arbeit an der Oper einstellte. Da aber klar ist, welches Material der Komponist dafür verwendete und verwenden wollte, hätte auch ruhig die vervollständigte Fassung gespielt werden können. Zwischen dem 2. und dem 3. Akt wurde andererseits eine (sehr schöne) Zwischenaktsmusik eingefügt, die allerdings den Nachteil hat, dass sie das musikalische Material des Finales vorweg nimmt. Auch dieses Dilemma ist aus Fidelio-Aufführungen bekannt. Wird eine der Leonoren-Ouvertüren als Zwischenaktmusik eingesetzt, wird das musikalische Überraschungsmoment des Finales vorzeitig preisgegeben.
Auch musikalisch war die Aufführung viel überzeugender als die letzten Aufführungen in München und Kaiserslautern. Gesungen wurde fast durchgängig gut. An erster Stelle ist Anne Ellensiek in der Titelrolle zu nennen, die trotz Erkältung im März eine bewundernswerte Leistung vollbrachte. Im Dezember sang sie makellos. Ihr ebenbürtig war ihr Gegenspieler Stephan, der von Matthias Vieweg gesungen wurde. Daniel Szeili als Richard fiel hingegen ab. Seine Intonation ließ gelegentlich zu wünschen übrig. Trotz Indisposition rettete er zur Freude des Publikums die letzte Vorstellung. Die übrigen Solisten sangen ordentlich und besser: Ernst Gartenauer (Simon), Stan Meus (Kilian), Mikko Järviluoto (Wolfgang), Carolina Krogius (Beate) und Horst Arnold (ein Freischärler). Die Stimme von Christiane Schröter (Barbara) war – vorsichtig ausgedrückt – gewöhnungsbedürftig. Chor und Extrachor des Meininger Theaters (Matthias Köhler) hatten erheblichen Anteil an der guten musikalischen Leistung. Die Meininger Hofkapelle spielte unter der Leitung von Lancelot Fuhry.
Bernd-Rüdiger Kern, besuchte Vorstellungen: 20. März und 21. Dezember 2016