Im Theater Meiningen fand am 18. März eine ganz besondere Premiere statt. Die selten gespielte Oper Regina von Albert Lortzing stand auf dem Spielplan und begeisterte nicht nur die Freunde des Komponisten.
Die Oper entstand im Revolutionsjahr 1848. Lortzing schrieb sein Werk in einer Welle des Aufbruchs für Freiheit und Demokratie und in einem Zeitfenster ohne Zensur. Erst im November 1848 komponierte er als letztes die Ouvertüre. Da kam die Nachricht von der Hinrichtung Robert Blums, Freund und enger Vertrauter von Lortzing. Er unterbrach tiefbetroffen seine Arbeit und im Takt 135 kommt es zum abrupten Abbruch der Ouvertüre. In Meiningen erfolgte an dieser Stelle die Exekution von Blum auf offener Bühne.
Die Meininger Hofkapelle musizierte die fast durchkomponierte Oper unter der Leitung von Lancelot Fuhry mit viel Hingabe und präziser Stimmführung. Regisseur Lars Wernicke stand vor der Aufgabe, Lortzings Werk aus der sonst so biedermeierlichen Nische zu führen. In Regina hatte er die Möglichkeit dazu, denn hier geht es nicht nur um eine Liebesbeziehung sondern auch um handfestes und politisches Aufbegehren.
Gleich zu Beginn brodelt es in Text und Musik so richtig, denn die Arbeiter in Simons Fabrik zetteln einen lautstarken Streik an. Das ist eine kollektive Arbeitsniederlegung und ein Novum auf einer Opernbühne. Dieser Vorfall ereignete sich in der Fabrikhalle, dumm nur, dass der Boss gerade nicht in seiner Firma weilte. So musste der smarte Prokurist Richard (Daniel Szeili) die aufgebrachte Menge beruhigen. Mit seiner kräftigen Tenorstimme (in der Höhe kniff er manchmal) gelang es ihm auch schnell, die Woge des Aufbegehrens, zu glätten. Regina, die Tochter des Chefs, ist von Richards Einsatz begeistert und wird in ihrer Liebe zu ihm bestärkt. Anne Ellersiek, die Regina des Abends, wurde vor der Vorstellung als leicht indisponiert angekündigt. Nach ersten behutsamen Gesängen steigerte sich ihre klare Sopranstimme und überzeugte später mit der nötigen stimmlichen Dramatik und der Gestaltung der doch im weiteren Verlauf herb gebeutelten Fabrikantentochter. Nach dem Tumult im Werk kehrt Simon von seiner Reise zurück und, noch auf den Koffern sitzend, wird er sehnsüchtig von Richard und seiner Tochter erwartet. Doch von Streik ist hier nicht die Rede, sondern von Verlobung, der Simon (Christoph Stegemann) im sonorem Sarastro-Bass zustimmt. Nun könnte die Oper in Wohlgefallen enden. Doch Werksleiter Stephan (Matthias Vieweg) verändert die gute Stimmungslage erheblich. Er ist ebenfalls in Regina verliebt und muss nun zusehen, dass sie Richard zum Bräutigam erwählt hat. Seine Enttäuschung, Verzweiflung und Hilflosigkeit darüber potenzieren sich in Hass und Rachegelüste. Diese Palette der Gefühle brachte er mit seiner gutklingenden Baritonstimme zum Ausdruck und seine Körpersprache setzte emotionale Momente. Wenn Liebe und Hass zusammenfallen, dann bedarf es meistens eines guten Freunds, und siehe da, aus früheren Zeiten taucht sein alter Kumpel Wolfgang (Mikko Järviluotoauf) auf und Stephans Lebensweg gleitet nun ins kriminelle. Wolfgang ist Anführer einer berüchtigten Räuberbande, die nun Stephans Rachepläne tatkräftig unterstützt. Die fröhliche Verlobungsfeier, mit großen Chorszenen und deftig choreografiertem Tanz, schlägt plötzlich in Chaos um. Stephan und die finsteren Räubergestalten stören die Feierlichkeiten, legen Feuer in der Fabrik und nehmen Regina als Geisel. In der Waldhütte von Kilians Mutter, Kilian ein Fabrikarbeiter, sucht die Bande Unterschlupf. Der listige Kilian (Stan Meus mit hübschem tschechischem Dialekt à la Schweyk) hat einen Plan. Er lädt alle zu einem Umtrunk ein und schenkt den mit Schlafmittel versetzten Wein freigiebig aus. Während Kilian in Tenor-Buffo Art ein lustiges Trinklied zum Besten gibt, liegen die kräftigen Kerle spätestens nach der 3. Strophe in Morpheus Armen. Regina gerettet? Stephan hat alles durchschaut. Er gibt nicht auf und entführt Regina erneut. Diesmal ist das Ziel ein alter Pulverturm mit explosivem Inhalt, den Stephan in die Luft jagen will. Regina wehrt sich gegen Stephans handgreiflichen Annäherungen und in ihrer Not entreißt sie ihm sein Revolver und erschießt ihren Peiniger. Stephan tot, Räuberbande verjagt, Regina gerettet, Bräutigam glücklich, Papa erleichtert, das Volk jubelt, doch es gibt nur ein kurzes Happy End, genau 9 Takte lang. Jetzt treten die Solisten und der Opernchor in schwarz weiß gekleidet stimmgewaltig aus der vermeintlich biedermeierlichen Idylle à la „Sonntagsspaziergang“ von Spitzweg, als Riesengemälde sichtbar, heraus und stimmen das Hohe Lied auf Freiheit, Brüderlichkeit und Demokratie an. Symbolhaft in schwarz rot goldenen Bändern wird die herrschende Aristokratie in Form von Strohpuppen aufgeknüpft. Es ist Aufbruch! doch halt! Eine riesige weiße Germania Büste erscheint im Hintergrund. Weinend und brennend blickt sie in die Zukunft. Hier schließt sich der Bogen zur Hinrichtung von Robert Blum zu Beginn der Oper. Das Chorfinale „Nun kommt der Freiheit großer Tag“ wirkt wie ein Schrei und Ermahnung an die Welt.
Zu Lebzeiten Lortzings wurde Regina wegen des aufrührerischen Gedankenguts nie aufgeführt, später inhaltlich derb verändert und erst 1998 in Gelsenkirchen in Originalfassung gespielt.
Meiningen hat sich der großen Aufgabe gestellt und mit seinem großartigen Ensemble eine hörenswerte und eindrucksvolle Inszenierung geschaffen, die einen Theaterbesuch lohnenswert macht und Lortzing musikalisch von einer anderen Seite zeigt.
Petra Golbs, besuchte Vorstellung: Premiere am 18. März 2016