Annaberg-Buchholz: „Der Wildschütz“

Schon wieder Der Wildschütz? Das war mein erster Gedanke, und dafür die – auch aus Leipziger Sicht – weite Reise auf sich nehmen? Wir haben es doch getan und – um das Ergebnis vorweg zu nehmen –, es hat sich mehr als gelohnt. Es handelt sich um die schönste, stimmigste Aufführung, die ich seit langem in Mitteldeutschland gesehen habe. Und ansonsten wird die Oper ja leider kaum gespielt. Von anderen Opern Lortzings wagt man ja kaum noch zu träumen. Allerdings verspricht die Leipziger Musikalische Komödie für die nächste Saison einen Casanova!

Den Besucher überraschen helle, freundliche Bühnenbilder (Tilo Staudte), die den Inhalt jeden Aktes genau treffen. Die Kostüme (Erika Lust) sind angedeutetes Biedermeier. Das Werk wird also zeitlich korrekt eingeordnet. Ich habe lange keine Aufführung gesehen, die dem Auge so wohl tat. Und der Witz und die Bösartigkeit des Stückes werden durch die richtige zeitliche Zuordnung noch betont, keinesfalls etwa verdrängt. Dem Regisseur Ingolf Huhn ist eine wundervoll überzeugende Personenführung gelungen. Als besonders wohltuend empfand ich die gute Artikulation der Sänger, insbesondere auch in den Dialogen. Aber selbst in den Ensembles habe ich so viel vom Text verstanden wie sonst nur sehr selten.

Die Oper wurde nahezu komplett – einschließlich der Tanzszene im 3. Akt – gegeben. Warum allerdings Jägerchor und Gewitter im 1. Finale fehlen, hat sich mir nicht erschlossen. Die Tanzszene war in der Personenführung einfach unübertrefflich. Mir ist schleierhaft, warum manche Theater aus ideologischen Gründen auf dieses musikalische Juwel verzichten, das zudem so dankbar auf der Bühne umzusetzen ist.

Auch über die musikalische Seite der Aufführung lässt sich nur Gutes sagen, und das, obwohl mit zwei Einspringern gearbeitet werden musste, die ihre Partien allerdings auch ausgezeichnet meisterten. Teresa Suschke als Baronin blieb der Rolle weder musikalisch noch darstellerisch etwas schuldig. Über Barbara Fritscher als Gräfin habe ich das Erforderliche schon in meiner Besprechung der Freiberger Aufführung gesagt. Für sie war es im Nachbarort ja nahezu ein Heimspiel. Doch auch die Haussänger standen dahinter nicht zurück: Jason-Nandor Tomory (Graf), Frank Unger (Baron), Therese Fauser (Nanette), Bernd Gebhardt als Baculus und Madeleine Vogt als Gretchen. Nicht unerwähnt bleiben darf Leander de Marel als herrlich sächselnder Pankratius. Er beherrscht die Landessprache in einem Maße, dass selbst ein Leipziger Neusachse nicht alles verstanden hat.

Die Erzgebirgische Philharmonie Aue spielte unter Leitung von Naoshi Takahashi einen klangschönen Lortzing. Der Chor des Eduard-von-Winterstein-Theaters sang nicht nur gut, sondern spielte auch jede Person in individueller Gestaltung, während er anderenorts doch häufig nur als Masse behandelt wird.

Leider ist die Aufführungsserie schon beendet. Es bleibt zu hoffen, dass sie in die nächste Saison übernommen wird.

Bernd-Rüdiger Kern, besuchte Vorstellung: 5. Februar 2017