„Der Wildschütz“ im Eberswalder Zoo

Was haben der Wildschütz, der Eberswalder Zoo, Lortzing und eine Wanderoper gemeinsam? – eine gelungene und amüsante Inszenierung.

Am 10. September 2016 besuchte ich die letzte von 4 Vorstellungen des Wildschütz auf der Open Air Terrasse im Eberswalder Zoo. (Eberswalde ist eine kleine Kreisstadt ca. 60 Kilometer östlich von Berlin. Der Zoo trägt übrigens das Prädikat „schönster kleiner Zoo Deutschlands“.)

Die Wanderoper Brandenburg e.V. (2011 gegründet) hat sich zum Ziel gesetzt, die kulturell unterentwickelte Infrastruktur im ländlichen brandenburgischen Raum mit Musiktheateraufführungen speziell für Kinder und Jugendliche zu bereichern. Leiter und Intendant der Wanderoper ist der Theatermann Arnold Schrem. Er bezeichnet seine Bühne als „mobile kulturelle Grundversorgung“. Schrem, der die Musiktheater-Spielregeln schon bei W. Felsenstein und J. Herz eingesogen hat, konnte auch als Oberspielleiter u.a. in Freiberg und Stralsund seine Regietätigkeit unter Beweis stellen. In der Wanderoper werden in erster Linie Profi-Sänger, Hochschulabsolventen oder Freiberufler verpflichtet, wobei die finanzielle Unterstützung von Land und Gemeinden eher mager aussieht. Daher ist es immer wieder ein neuer Kraftakt, Sponsoren für eine neue Produktion zu akquirieren.

Die Aufführung des Wildschütz stellte so einen Kraftakt dar. Ein glücklicher Umstand verhalf der Wanderoper zu einer Finanzspritze, die durch die Feierlichkeiten zum 700jährigen Jubiläum der nahe liegenden Stadt Bad Freienwalde begünstigt wurde. Mit der Einbeziehung von Mitwirkenden aus der Stadt und der Region und zwei Aufführungen in Bad Freienwalde fand dieses Projekt regionale und überregionale Unterstützung. Zwei weitere Vorstellungen folgten im Eberswalder Zoo.

Die schmucklos mit Blech überdachte Zooterrasse diente zum Glück nur als Umkleide für die Künstler, denn die Aufführung fand auf einer vorgebauten Spielfläche statt. Das Bühnenbild präsentierte sich im spätsommerlichen Ambiente. Mit sieben mannshohen Strohhaufen, geschmückt mit Kunstblumen, Störchen, Blechkatze, Schmetterlingen und rosa Plüschschwein suggerierte es eine heile schöne Welt auf dem Lande. Im Schlossakt blieb natürlich der Strohhintergrund stehen und nur 8 Stühle, bezogen mit weißen Hussen, reichten aus, um das gräfliche Anwesen anzudeuten.

Hohe schattenspendende Bäume umsäumten den Besucherplatz, der für ca. 400 Zuschauer bestuhlt war und leider am Abend nur ca. 250 Gäste zählte.

Das 10köpfige professionelle Orchester (Blech, Holz, Streicher) spielte dank einer gelungenen Bearbeitung vom Filmmusikkomponist Bernd Wefelmeyer, einen erstaunlich gut klingenden Lortzing. Johannes Zurl, der Mann am Dirigierpult, hatte die Zügel Richtung Orchester und Bühne bestens in der Hand.

Während der Ouvertüre (stark gekürzt) betritt, nein: bespielt der Chor die Bühne und jeder einzelne erzählt eine kleine individuelle Geschichte. Die regieführende Hand von Schrem ist überall zu spüren und die Laien–Sänger (Damenchor „Märkisch Hoffnungsland“ und Herren aus der Singakademie Frankfurt/Oder) agierten mit ansteckender Spiellaune und meisterten auch beachtlich den schwierigen Chorpart.

Der Schulmeister Baculus (Bernd Gebhardt), mit versteckter Flinte untern Arm, hetzt nach seinem vermeintlich geschossenen Hochzeitsbraten, schuldbewusst quer durchs Publikum. Sein Verhalten deutet auf seine verbotene Wilderei im gräflichen „Zoo“ hin, die ihm infolge seine Anstellung als Schulmeister kostet. Der kleine agile Schullehrer ist verzweifelt und möchte seinen Fehltritt korrigieren, und gerät immer tiefer, gutgläubig und nichtsahnend, in den Strudel der Verwechslungen. Das niedliche Gretchen (Martina Haeger) möchte ihrem Bräutigam helfen und beim Grafen Fürbitte leisten. Doch aufs Schloss darf sie nicht, auch wenn sie es mit großen Kulleraugen, Umarmungen, Gejammer und Tränen versucht. Sie beugt sich auch der Heirat mit dem älteren Baculus, denn mit spätestens 25 sollte man schon unter der Haube sein. Trotzdem kann sie es nicht lassen, ihren Zukünftigen öfters in kecker Art zu ärgern und auch einen Flirt mit dem hübschen Burschen (Nanette) lässt sie nicht aus.

Der gräfliche Auftritt samt Kumpanen erfolgt nicht in grüner Zunftkleidung mit Jägerhut und Gewehr, sondern im „Man in black Look“: schwarzer Zwirn, Schirm, Sonnenbrille und Sexy-Maschenunterhemd.

Hier wird kein Wild gejagt, sondern werden Frauen aufs Korn genommen. An der vordersten Front steht der stattliche Graf Eberbach (Remo Tobiaz). Ist sein Eros -Gen aktiv, bewegt er sich hyperaktiv im „Schmittchen Schleicher Stil“ mit heftigem Hüftschwung und flirtet mit jedem weiblichen Wesen, auch mit der dicklichen Bäuerin in Gummistiefeln.

Gräfin Eberbach (Fanny Lustaud), seine Gattin, kommt schlank, jung und hübsch daher (wo ist das Problem!). Das Problem ist ihre Leidenschaft für die griechische Mythologie. Im weißen Römerkleid rezitiert sie Sophokles und steigert sich mit ausgestreckten Armen, verkrampften Fingern und verzerrter Mimik bis hin zur Ektase, dass einem angst und bange wird. Das Dienstpersonal ist mit den Lesungen der Gräfin bestens vertraut. Um in diese Zeit nicht unproduktiv und gelangweilt herum zu sitzen, wird im Kollektiv Strickwolle aufgewickelt. Auch der Hausdiener Pankratius (Steffen Scheumann) zeigt einige neurotische Züge. Er erscheint in griechischer Tunika und mit Cäsar-Lorbeerkranz im Haar und geistert auffällig im Schloss umher. Mit lauten und überartikulierenden Dialogen (leider nicht auf sächsisch) deklamiert er seine Rolle und kommt dem Erscheinungsbild der Gräfin sehr nahe.

Schüchtern und bescheiden präsentiert sich dagegen der Baron Kronthal (Manuel Gomez Ruiz). Seine linkischen Annäherungsversuche im Billardzimmer und seine Aktivitäten, dem Grafen es gleich zu tun, waren amüsant anzusehen und ließen gleichzeitig seine Sympathiewerte ansteigen. In der Billardszene wurde Mini-Billard auf einem Tisch gespielt und der dickliche Koch hielt die dramaturgisch wichtige Oberbeleuchtung in Form eines Lampions über das Spielfeld.

Frau Baronin (Teresa Suschke) nebst Dienstmädchen (Maria Schlestein) radeln in Männerkleidung frohgelaunt durchs Publikum und sind mit ihren Lederkappen wahrlich hübsche „Burschen“. Hübsch ist auch die Baronin im geborgten Gretchenkleid und steuert als Kind vom Lande und als falsches Gretchen geschickt und mit viel Charme das Geschehen. Im Gegensatz zu ihrem Hallodri-Bruder erkennt sie die ehrlichen Absichten und das gute Herz vom Baron Kronthal. Die Stimme der Natur hatte das letzte Wort und im Finale finden sich alle Paare – hoffentlich in Glück und Liebe!?!

Die Solisten des Abends balancierten szenisch und stimmlich alle auf einem guten Niveau. Der schwungvollen und kurzweiligen Inszenierung, mit stimmigem Bühnenbild und zum Lande passenden Kostümen gebührt, allen Mitwirkenden vor und hinter der Bühne, ein großes Bravo und verdienter Applaus.

Petra Golbs, besuchte Vorstellung: 10. September 2016