Freiberg/Döbeln: „Der Wildschütz“

Der Wildschütz läuft in Sachsen über nahezu alle Bühnen. Nach Dresden (Semperoper) und Leipzig (Musikalische Komödie) folgen nun Freiberg/Döbeln und Annaberg-Buchholz. Die Aufführung in Döbeln zeichnet sich in vielfacher Hinsicht aus. Dabei ist zunächst erwähnenswert, dass jede Nummer der Oper gespielt wird. Alle Musiknummern werden geboten und dazu auch noch vergleichsweise viel Dialog. Was noch viel bemerkenswerter ist: der Dialog verzichtet auf jegliche Modernisierung. Dadurch wird dem Zuschauer wieder einmal bewusst gemacht, mit wieviel feinsinnigem Sprachwitz Lortzing seine Bühnenfiguren ausstattet. Um dieses Vergnügen wird der Hörer durch die generell hilflosen sprachlichen Verstümmelungen ansonsten häufig gebracht. Sehr schön wurde so herausgearbeitet, dass nahezu alle Handelnden ihre Grundsätze haben, diese auch immer wieder vortragen, aber pausenlos dagegen verstoßen.

Auch musikalisch bot das kleine Haus eine erstaunliche Leistung. Alle Rollen waren gut besetzt Die Mittelsächsische Philharmonie unter Leitung von Raoul Grüneis ließ zwar eingangs einige Schwächen hören, und das Zusammenspiel zwischen Orchestergraben und Bühne lief nicht immer reibungslos, alles in allem kam aber ein sehr achtbarer Lortzing zustande. Die Sänger waren durchgängig überzeugend, ohne dass einer besonders hervorstach: ein erstaunlich homogenes Ensemble. Eine besondere Freude bereitete Lindsay Funchal als Gretchen, sowohl optisch als auch stimmlich; endlich einmal ein solider Sopran und keine Soubrette. Das wertet die Rolle erheblich auf. Doch auch die anderen blieben dahinter nicht zurück: Guido Kunze als Graf von Eberbach, Barbara Fritscher als viel zu junge und viel zu hübsche Gräfin, Derik Rue als Baron, Leonora del Rio als Baronin und nicht zuletzt Sergio Raonic Lukovic als Baculus. Jens Winkelmann war ein herrlich sächselnder Pankratius. Am wenigstens lässt sich über Zsuzsanna Kakuk als Nanette sagen, was aber nicht heißt, dass sie unangenehm aufgefallen ist. Nicht vergessen sei der Opernchor, der Hervorragendes leistete. Auf einen Kinderchor musste leider verzichtet werden. Alle Sänger konnten so gut deutsch singen und — noch wichtiger — sprechen, dass man bei keinem einen Akzent herausgehört hat.

Am wenigsten gefielen mir Bühnenbild (Robert Schrag) und Inszenierung (Wolfgang Ansel), ohne dass sie freilich ernsthaft störten. Das Stück wurde in die 50er oder frühen 60er Jahres des letzten Jahrhunderts verlegt. Der Einsatz von Hula-Hup-Reifen mit dem allerdings nicht alle Chorsängerinnen umgehen konnten, erlaubt eine ziemlich genaue Datierung. Der 1. Akt zeigt dabei eine helle, freundliche Bühne, während die beiden anderen Akte durch einen unfreundlichen blaugrauen hässlichen Hintergrund geprägt sind. Die Personenführung gelang weithin, das gilt auch für den sehr individuell geführten Opernchor. Die Billardszene allerdings wurde durch die Verwendung überdimensionierter Kugeln etwas ihres Witzes beraubt. Das konnten auch die Kugeln, die generell scharfe Zickzackkurven fuhren, nicht vollständig ausgleichen. Die Kostüme waren weitgehend sehr hübsch.

Alles in allem handelt es sich um eine Aufführung, die auch einen wiederholten Besuch lohnt.

Bernd-Rüdiger Kern, besuchte Vorstellung: 22. Oktober 2016 (Döbeln)