„Zar und Zimmermann“ in Saalfeld

Eine Opernaufführung in einem Kultur- und Tagungszentrum versprüht den prickelnden Charme von einer Parteiversammlung in einem Landgasthof. So angekündigt erfolgte am 14. Oktober 2017 im thüringischen Saalfeld die Premiere von Lortzings Zar und Zimmermann. Doch das multifunktionelle Tagungshaus, auch unter dem Namen Meininger Hof bekannt, entpuppte sich im Inneren als kleines Theaterwunder mit Atmosphäre, wohlbestuhlt für über 600 Zuschauer und überraschte mit einer unerwartet guten Akustik.

Das Theater Rudolstadt, in dem z. Z. die Bauarbeiter den Ton angeben, wird saniert und verlegt die musikalischen Aufführungen für längere Zeit in die Feengrottenstadt. Aus Platzgründen bzw. in Ermangelung eines Orchestergrabens nehmen die Thüringer Symphoniker Rudolstadt/Saalfeld unter Leitung von Oliver Weder auf dem hinteren Teil der Bühne Platz, so dass das Musiktheater, das komplett vom Theater aus Nordhausen anreist, sich mit der schmalen Vorderbühne begnügen muss. Angekündigt ist daher eine semiszenische Aufführung. Doch was heißt hier semiszenisch?

Das Publikum erlebte in den nächsten zweieinhalb Stunden eine aktionsgeladene Aufführung mit guten Solisten und gutem Chor und einem Füllhorn origineller Regieeinfälle, die musikalisch exakt und pointiert gesetzt wurden. Die neue Operndirektorin in Nordhausen, Annette Leistenschneider, setzte ihre Inszenierung, die schon in den Sommermonaten bei den Schlossfestspielen in Sondershausen erfolgreich gespielt wurde, auch hier effektvoll auf die schmale Saalfelder Vorbühne.

Durch den Verzicht von Kulissen deuteten auf der Saardamer Werft Holzböcke, Bretter und Werkzeuge einen holzverarbeitenden Betrieb an, in dem die geschäftstüchtige und sympathische Chefin Frau Browe (Uta Haase) das Zepter schwingt. Um den Gewinn anzukurbeln, lässt sie als weiteren Geschäftszweig auch noch Holzpantinen schnitzen. Die Zimmerleute der Schiffswerft sind emsig bei der Arbeit und auch der gemeinsame Gesang gelingt bestens.

Der große Auftritt des Bürgermeisters Van Bett (Thomas Kohl) in weißer Allongeperücke erfolgte mit kräftiger kerniger Stimmgebung, gepaart mit großer Selbstdarstellung und Selbstverherrlichung. Zu seinem gestelzten Gehabe gesellte sich irgendwie auch Bauernschläue, die aber der Realität ständig hinterherhoppelte. Sein Schreiber und Aktenträger (Benno Busch) kommentierte kopfschüttelnd und sehr komödiantisch die ständige „lange Leitung“ seines Dienstherrn.

Der russische Deserteur Peter Iwanow (Marian Kalus) lebte als Zimmermann in seiner holländischen Exilheimat in Frieden und Eintracht, bis sein Ratschef auf der Werft erscheint und von einem angeblichen Zaren faselt. Der lustige Naturbursche Iwanow liebt ehrlichen Herzens Marie, die Nichte des Bürgermeisters, und muss nun als Armeeflüchtiger doppelt auf der Hut sein. Dass seine Marie ab und zu mit anderen schäkert, nimmt er schon zur Kenntnis, vermeidet aber wohltuend ätzende Eifersuchtsszenen. Mit angenehmer Buffostimme singt und spielt er einen sympathischen Handwerksburschen, der sich seiner plötzlichen Zaren-Beförderung genervt und ungläubig erwehren muss. Peter Michailow (Manos Kia), der Zar inkognito, gutaussehend und auch stimmlich ohne Tadel, präsentierte sich als ganzer Kerl, der schon als Zimmermannsgeselle gewisse Herrscherambitionen erahnen lässt. Die hübsche Marie (Leonor Amaral) singt und spielt allerliebst, neckt und scherzt auf Mädchenart mit ihrem Peter. Doch die Neckereien gehören hier wohl zum verliebt sein, denn beide stecken sich Blumenringe an die Finger, küssen und herzen sich dabei.

Der französische Gesandte (Miloš Bulajič), im eleganten Seidenzwirn, verströmt den Duft der Pariser Modewelt. Während er etwas näselnd die flandrischen Mädchen besingt, fallen die Damen des Chores reihenweise in Ohnmacht. Beim Auftritt des bärtigen russischen Gesandten (Yavor Chenchev) tendiert das Interesse der Damenwelt auf null. In seiner unauffälligen Uniform und seiner russischen murmligen Aussprache kann er konspirativ mit seinem Landesherrn, der ihm in Russisch antwortet, Kontakt aufnehmen. Seine tiefe sonore Stimme deutet wohl neben seiner konsularischen Tätigkeit auch auf eine russisch orthodoxe Chor-Mitgliedschaft hin.

Der englische Vertreter der britischen Krone (Chao Deng – gebürtiger Chinese), tritt als lustiger mopsiger Gesandter im zünftigen Schottengewand in Erscheinung. In trauter Zweisamkeit mit dem Saardamer Ratsvorsitzenden, verhakt er sich ebenfalls bei der Erkennung des wahren Zaren.

Ein Highlight der Oper ist der Holzschuhtanz, der vom Orchester zwar gespielt wurde – aber nicht getanzt!! Van Bett hatte zuvor etwas von Absage der Tänzer angedeutet, doch gehörte die Anmerkung zur Inszenierung? Alle Mitwirkenden standen zwar auf der Bühne und die hübschen blondbezopften Chordamen schwangen zur bekannten Melodie rhythmisch ihre Hüften. Das Publikum lauerte regelrecht darauf, dass das fehlende Ballett vom Chor übernommen wird. Der äußerst spielfreudige und gut klingende Chor hätte diese tänzerische Herausforderung in einer leichten Choreografie mit einigen Schrittchen und klappernden Holzlatschen bestens umgesetzt. Dies war sicherlich eine Ausnahme und in den weiteren Vorstellungen wird es hoffentlich eine Balletteinlage geben. Doch diese kleine Inszenierungslücke trübte den Gesamteindruck der Vorstellung in keiner Weise.

Nachdem der echte Zar vom ersten Theaterrang herab sich von seinen Werftskollegen verabschiedet hatte und alle fröhlich und zufrieden zurückwinkten, bedankte sich das Publikum nach dem Finale bei den Bühnenkünstler für diese gelungene Aufführung mit einem sehr lang anhaltenden und verdienten Beifall.

Petra Golbs, besuchte Vorstellung: 14.Oktober 2017 (Saalfeld)